3.4.2020 Altenheim – Zutritt verboten: Gehweg-Gespräche

Die O-Ton-Partner prasseln auf mich. Alle Menschen, denen ich auf meiner zweistündigen Radtour durch die Stadt begegnet bin, sind offen und mitteilungsbedürftig. Selbstredend lässt sich als Journalist prinzipiell neugierig sein und Fragen stellen. Aber x-beliebige Passanten ansprechen, ohne Terminvereinbarung oder konkreten inhaltlichen Grund hat im Normalfall immer etwas von: Ich mache eine Umfrage, bin Freakman oder benötige für die Frage des Tages Volkes Stimme. Das ist nun anders. Die Antworten sind persönlich, beinahe alle Gesprächspartner nehmen sich Zeit und erzählen gern.

„Wir müssen draußen bleiben“ – vor der Wiese

Freier Blick über freie Wiesen – die Polizei ist von der Mahnarbeit entbunden

Rot-weiße Absperrbänder umzäunen seit heute die Wiesen des Wittelsbacher Parks und des Kuhsees. Polizeiliche Mahnworte ob des Verbot des Niederlassens wirkten nicht nachhaltig genug. Nun flanieren alle, sitzen in Abständen oder alleine auf Bänken. Auch Hunde müssen draußen bleiben. Widerstand regt sich sofort in Whatsapp-Gruppen, die demokratische Rechtsverletzung höre ich im Umfeld immer lauter und deutlicher angesprochen. Bei allen Einschränkungen, die uns derzeit betreffen. Die Belastung in der Quarantäne wird größer, die Zeit sich dieser Anliegen anzunehmen ebenfalls. Opposition ist berechtigt, kreative Lösungen gefragt. Vernunft gegen Distanz, liberales Denken, psychische Gesundheit, viele Apsekte gilt es persönlich abzuwägen. Eine Schauspielerin aus Berlin zitiert fünf Säulen für die Gesundheit: Routine, Ordnung, Sport, Ernährung und Perspektive. Alles machbar, nur mIt letzterer ist das im Moment so eine Sache.

Zwischenzeit – Zu Pflegende in Einsamkeit

Aus melancholischen Gründen radle ich am Seniorenwohnheim vorbei, in dem meine Großmutter ihre letzten Jahre gelebt hat. Auf dem Gehweg steht ein Mann und spricht mit seinem Vater – im ersten Stock des Gebäudes. Aus dem offenen Fenster gestikuliert die Hand des 80-Jährigen. Der Sohn hat ein Bier mitgebracht und stößt mit dem Vater auf die Ferne an: „So haben wir vor ein paar Tagen seinen 80. Geburtstag gefeiert,“ erzählt er. „Er versteht es nicht wirklich, warum er nicht nach draußen darf. Würde er im Erdgeschoss wohnen, könnten wir wenigstens eine zusammen rauchen.“ Wir sind ziemlich betroffen und trauen uns kaum wegen eines Fotos zu fragen. Doch wir dürfen. Und Jürgen Schmitt, so heißt der Sohn auf dem Gehweg, erzählt uns noch mehr.

Jürgen Schmitt und sein Vater beim täglichen Gespräch

Das Warten auf den Sturm nennt es meine Cousine. Sie ist Ärztin in den USA. Die Arbeit sei weniger, Operationen abgesagt, die hygenieschen Maßnahmen fräßen viel Zeit sowie die Vororganisation bis zur großen Welle, auf die alle warten. Sie ist nicht weit von New York entfernt, aber im ländlichen Raum. Darüber ist sie im Moment froh. In den nächsten Tagen nimmt sie sich Zeit und wird mir mehr davon erzählen.

Da die Audios immer mehr werden, eine Rolfing-Therapeutin über ihr Leben in Brasilien berichten wird, der Vorsitzende des Graffiti-Vereins „Die Bunten“ und eine Kommunikationsexpertin des Hamburger Marketing, Natalie Böck, die Leiterin des DanceCenter No1 und viele andere mir ihre Ideen und Gefühle zukommen lassen, komme ich mit Worten nicht nach. Deswegen hier wie im Altenheim: Ich sperre ab, ziehe mich auf den Gehweg zurück und lasse in den kommenden Tagen die anderen für mich sprechen.