Edi Rama, der ehemalige Bürgermeister von Tirana in Albanien, hat die Fassaden bunt streichen lassen. Er ist Künstler und seine Idee folgt den Gesetzen einer simplen Psychologie. Farbenfrohe Häuserwände signalisieren Hoffnung und Aufbruch. Bis 2011 versuchte er so, den Wildwuchs in Tirana, der 1990 mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Regimes begonnen hatte, einzudämmen. Die Öffentlichkeit war es, die sich Straßenzüge und Parks erobert hatte und planlos und oft illegal konstruierte und errichtete. Kioske, Verkaufsbuden, Hotels und Häuser bis zu acht Stockwerken wuchsen in der Stadt an. Die Straßenzüge seien wie Korridore in einem Kafka-Roman gewesen, eng und immer voller, meinte Rama in einem Interview in der Züricher Zeitung 2003.
Internationale Feier für den artistischen Bürgermeister
In den Häusern und dahinter bröckelte es weiter. Die Stadt litt unter chronischem Geldmangel, überlasteter Infrastruktur und einer wackligen Strom- und Wasserversorgung.

Verändert Kunst politische Prozesse oder eine Gesellschaft?
Der neue Bürgermeister malt nicht, er gestaltet
Pflanzlicher statt architektonischer Wildwuchs am Skanderberg-Platz
Und dann könnte man sogar reüssieren, dass Rama und Veliaj etwas gelungen ist, was externe Experten und Stadtplaner oft vergeblich versuchen – eine Stadt über Leitmotive und architektonische Veränderung zu stärken und beflügeln. Idealistisch gesehen;-).
Ach ja, seit 18.11. stellt die Kunsthalle Rostock die Zeichnungen, Tonskulpturen Ramas, die er bei Meetings und Konferenzen anfertigte, aus. Sie sind noch bis 6.1.2019 zu sehen. Könnte einen Kurztripp zwischen Weihnachten und Silvester wert sein.
Die Furchtwörter städtischer Menschen sind bereits überstrapaziert: Gentrifizierung, Disneyfizierung, Neubauten, die den Anschluss an ihre Bewohner verloren haben, Urbanisierung. Was bleibt außer der Angst, außer lokalen Protesten? Was ist architekturtheoretisch und städteplanerisch in Zukunft wirklich drin?
Wenn Stadtplaner und Experten Utopien entwickeln, schafft das zwar Räume in denen gestaltet werden kann. Doch die Gesellschaft hat das Vertrauen in Tiefbauämter, Architekten und Planer verloren. Die Wohnungsnot ist groß, neue Wohnprojekte mangeln oft stark an innovativen, kreativen Ideen, die lebenswerten Raum schaffen.
Welche Alternativen existieren entgegen der herkömmlichen Stadtplanung? Wie kann eine Stadt Wohnraum schaffen und gestalten jenseits der herkömmlichen Planungswege?
Über drei Ansätze bin ich jüngst gestolpert, die mir kreativ und bewegend erschienen. Die Planbude, ein interdisziplinäres Projekt in Hamburg, die Stiftung „Lebendige Stadt“ mit Sitz in Essen und die Ausstellung des Staatlichen Textilmuseums Augsburgs zum Thema „Utopien einer vielfältigen Stadt“.
Transdisziplinäres Planungsbüro -Die Planbude
Wenn sich Einwohner, Anwohner, Architekten und Bezirk zusammentun, entsteht eine Dynamik. Wie in Hamburg. Dort entwirft die Planbude, ein interdisziplinäres Planungsbüro aus Architekten, Künstlern, Musikern und Bewohnern in St. Pauli, neue Ansätze, wie Stadt anders gedacht werden kann. Das Planungsbüro hat 2014 den Auftrag durch den Bezirk Hamburg-Mitte erhalten ein Beteiligungsverfahren durchzuführen. Alle Mitwirkenden der PlanBude arbeiten dabei mitten im betroffenen Bezirk mit Workshops. Türschwellengesprächen, Informationskampagnen klar erkennbaren Tools wie Lego-Modellen, einer Nachtkarte, Fragebögen und Knetmodellen, häufig im Modus öffentliches Planungsbüro auf der Straße. In Stadtteilkonferenzen wurden die gefilterten Erkenntnisse als klare funktionale, bauliche Ansprüche formuliert und eine Grundlage für einen entstehenden Neubau geschaffen.

- 40 Prozent Mietwohnungen
- 60 Prozent staatliche gefördert
- 2500qm Subkultur- und Innovationscluster
- Interessante Dachnutzungen
- Keine Eigentumswohnungen
Kreatives Wissen um die Belange und Bedürfnisse der Einwohner des Viertels haben zu einer Architektur und Planung geführt, die gerade wegen seiner ungewöhnlichen Herangehensweise die Wünsche und Ideen der Einwohner optimal spiegelt.
… mit dem PlanBude Prozess hat Hamburg ein Modell, wie eine andere Stadtplanung funktionieren kann. Dieses Modell zeigt, dass eine Erneuerung der Stadt durch das Wissen der Vielen möglich ist – und dieses Wissen braucht.
Presseerklärung zum Verhandlungspaket, 8. Mai 2018
Presseerklärung zum Verhandlungspaket, 8. Mai 2018
Benötigt eine Stadt in der Gestaltung ihrer öffentlichen Räume noch Planer?
Nicht vergessen werden darf: Planung steht in direktem Kontrast zu Lebendigkeit und Veränderung. Sie presst Prozesse und Vielfältigkeit, die Gesellschaft und menschliches Leben trägt, in Planungsbahnen für die Zukunft. Wenn ich moniere, dass zukünftige, liberale und weltoffene Stadtplanung sich verändern muss, weg von den Planungsrastern, dann reihe ich mich ein in eine Vielzahl von Projekten, Ideen und Theorien, die seit gut 10 Jahren in Universitäten, Hochschulen, stadtplanerischen Gremien Thema sind.
Urbane Vielfalt aus Arbeit, Leben und Wohnen
Die „Lebendige Stadt“ unter der Leitung des Kuratoriumsvorsitzenden Alexander Otto ist beispielsweise eine Stiftung mit Sitz in Essen, die nicht nur das Wohnen, sondern auch Arbeit und Kultur bündeln will, als Prozess einer urbanen Vielfalt. Die Stiftung engagiert sich bereits seit dem Jahr 2010 und unterstützt Projekte im öffentlichen Raum, die Städte lebendiger und lebenswerter erhalten. Der aktuelle Fokus beim Kongress in Bochum September 2019 lag auf dem Krisenthema des knappen urbanen Wohnraums. „Wohnungsnot – knapper Wohnraum und wie schaffe ich nachhaltig Wohnraum“ – um nur einige zu nennen. Die Stiftung ist für ihr Engagement bereits mehrfach ausgezeichnet worden u.a. mit dem BDA-Architekturpreis für die Gestaltung des Hamburger Jungfernsteigs.
Serielles Bauen, Mietrecht, Wachstum?
Günstig und schnell für viele Menschen bauen, würde diese Maßnahme Kommunen retten? Ein europaweit ausgerufener Wettbewerb, der den Dialog dieses Themas vorantreiben sollte, hat unter anderem eine Firma namens Goldbeck gekürt, die folgende Vision verfolgt. Kreativ à Lego oder Ikea schnell und günstig viel Wohnraum zu schaffen, so nennt die Firma im Marketingsprech Ihre Entwürfe und betont, weit von den Plattenbauten der 70er entfernt zu sein.
Weitere wichtige Fragen des Kongresses, die von namhaften Vertretern debattiert werden sind das Mietrecht, die Frage, ob wir noch weiter wachsen wollen und viele andere Aspekte.
Nachhaltige Holzhäuser als Stockholm!
Die Problematik allerdings, wie nachhaltiger Wohnraum konkret geschaffen werden kann, geht von der Diskussion und den ersten Ansätzen an echte Alternativen ran und wirft kreative Prozesse an. „Wie baut man schöne Häuser und schöne Umgebungen? Wie baut man wirklich nachhaltig?,“ frägt CEO Arne Olsson, Folkhem Produktion AB.
Viele Fragen des Kongresses bleiben offen und unbeantwortet. Der Know-How-Austausch ist jedoch eine wichtige Säule für jeglichen Prozess der Veränderung. Die Stiftung, die seit 2010 besteht, initiiert zudem Projekte im Bereich Quartiersentwicklung, gestalteter Raum, Grün oder Licht und kümmert sich um die Nachwuchsförderung in Form von Kooperationen mit Hochschulen. Zudem verleiht sie jährlich einen Stiftungspreis an Städte und Gemeinden, die „Best-Practice-Beispiele“ entworfen haben. Im Rahmen eines Wettbewerbs wird der Preis an diese innovativen Konzepte vergeben.
Utopien einer vielfältigen Stadt

Eine kleine Symbiose aus konkreter PlanBude-Planung und Stiftungsarbeit stellt das interdisziplinäre Ausstellungskonzept der Stadt Augsburg zum Thema „Augsburg 2040 – Utopien einer vielfältigen Stadt“ dar. Know-How-Austausch, Workshops und konkreter Ideenaustausch stecken darin und sind für mich zukunftsweisend. In Workshops mit vielen Akteuren der Augsburger Stadtgesellschaft wurde aus den Themenbereichen Wirtschaft, Gesellschaft, Vielfalt, Gesundheit, Bildung, Arbeit, Wohnen, Kultur ein interaktives Konzept entwickelt, das den Besucher beobachten, fragen und teilhaben lässt. In Sachen vielfältige Gesellschaft erfolgt emphatisches Einfühlen in Menschen mit Benachteiligungen, in 2er-Gruppen erfolgt ein Austausch über Lebensziele und Schwerpunktsetzung. Kühle, unnahbare Online-Wirtschaftswelt wird warmen Kindheitsutensilien gegenüber gestellt. Die Ausstellung wirft vor allem Fragen auf und gibt wenig Antworten. Sie spiegelt aber deutlich eine Stadt, die extrem vielseitig ist und die unterschiedlichsten Geschichten und Zukunftsvorstellungen hat. All jene zu bündeln und klar fokussiert umzusetzen, bleibt die Herausforderung.
Statt Planung – in einen Prozess einschreiten. Das wäre meine Vorstellung einer urbanen Vision. Nach diesen drei kurz umrissenen Ansätzen und Ideen.
Steile These, die im November 2019 Zeit Doctor Magazin zum Thema Psychische Gesundheit zwischen den Zeilen auftaucht, aber inzwischen leider wissenschaftlich belegt. Das gemeine Stadtleben erhöht nicht nur das Risiko für Depressivität, sondern auch für Schizophrenie und Angststörungen. Nun leben aber in der heutigen Zeit Menschen verstärkt in Städten, 70 Prozent der Weltbevölkerung sollen es bis 2050 sein, der Zuzug in kulturelle und wirtschaftlich attraktive Metropolen ist groß. Die Frage ist also – was hilft dem Einzelnen?
Neuro-Urbanistik für urbanes Glück?
Stadtbewohner erkranken also öfter – und zwar signifikant im Vergleich zur Landbevölkerung. Als urbaner Mensch trage ich ein 40 Prozent höheres Risiko an einer Depression zu erkranken, ein doppelt so hohes Risiko an Schizophrenie zu erkranken und ein 20-fach so hohes Risiko eine Angststörung zu erleiden. Das sind klare Zahlen. Die Charité Berlin, die TU Berlin, die Fliedner Klinik Berlin und die Alfred Herrhausen Gesellschaft haben 2015 das Interdisziplinäre Forum Neuro-Urbanistik gegründet – aus Mangel an Forschung zu diesem viel diskutierten Thema. Darin vereinen sich Psychiater, Depressions- und Stressforscher, Praktiker aus Architektur, Stadtplanung, Soziologie und Neurowissenschaften in der Suche nach Antworten.
Die Bad Guys: Sozialer Stress und Isolation
Projektleiter und Stressforscher Dr. Mazda Adli benennt sozialen Stress als einen der wesentlichen Risikofaktoren. Vor allem soziale Dichte und soziale Einsamkeit lassen diese Art des Stresstyps entstehen. Als Maßnahmen dagegen benennt er „Urbane Kultur“ und den Willen der Politik für Grün und öffentliche Plätze, an denen Menschen sich treffen und ein Gefühl von Gemeinschaft entstehen könne. Das Forum arbeitet an einer Public Mental Health Strategie für die Städte und richtet sogenannte Neurourbanistik Salons aus, welche die Öffentlichkeit in die Diskussion bringen.
Fördern „Unorte“ Einsamkeit?
In der theoretischen Architekturdebatte wird häufig von so genannten „Unorten“ und „Orten“ gesprochen. Architekt Christoph Ingenhoven definiert diese als leere städtische Räume, denen die Eigenschaft als Ort, unter anthropologischem Gesichtspunkt abgesprochen werden kann. Diese Unorte üben auf Fotografen zwar häufig eine große Anziehungskraft ob ihres Nichts, der Strukturen und der fehlenden Seele aus, für die bewohnenden Menschen fehlt aber der „hinzufügende Aspekt, das Aufladen des Ortes, das Verankern“, so Ingenhoven. Zeitgenössischer Städtebau sei oft wie eine Ansammlung von Einzelgebäuden, wie ein Architekturzoo. Ein Konzept, eine Architektursprache aus Form und Material fehle häufig. Ingenhoven verglich beispielsweise die Speicherstadt in Hamburg, in der dieser Ansatz gelungen umgesetzt sei, mit der neuen Hafencity. Ingenhoven plädiert für Mut zur Größe und zum Städtebau als dreidimensionale Kunstform.
Viele Megastädte sind eine „wunderbare Katastrophe“. Sie stehen vor dem Verkehrs- und Armutskollaps, aber stellen gleichzeitig die Emanzipation von den Zwängen des Landlebens dar.
Christoph Ingenhoven, Architekt, in http://www.muenchenarchitektur.de
Christoph Ingenhoven, Architekt, in http://www.muenchenarchitektur.de
Charta der Neurourbanistik
Das Interdisziplinäre Forum Neuro-Urbanistik hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Sie will langfristig eine „Charta der Neurourbanistik“ entwickeln, die Politik und Stadtplanung für das Thema sensibilisiert und dem Einzelnen Möglichkeiten für ein Engagement in diese Richtung aufzeigt.
Auch die Alfred-Herrenhauser-Stiftung in Berlin hat sich diesem Thema verschrieben.
Am 13. November diskutieren deshalb Elisabeth Mansfeld, die Leiterin des Arbeitsfelds Stadt, Fragen zum Thema „Die Stadt von morgen“ erstmals mit Experten bei der sogenannten „Ecolution 2019“ der Stiftung in Berlin. Es geht in den Workshops vor allem um nachhaltige Stadtentwicklung mit Blick auf globale Trends wie Bevölkerungswachstum und Klimawandel. Die Evolution findet am 13. November im Cafe Moskau in Berlin erstmalig statt.
Urbane seelische Gesundheit ist Zukunftsthema.
Literaturhinweise:
http://www.muenchenarchitektur.com / Jan Esche im Gespräch mit Christoph Ingenhoven und Hans Georg Esch.
http://www.healthcapital.de/news / Innovationspreis für Interdisziplinäres Forum Neuro-Urbanistik.
http://www.alfred-herrhausen-gesellschaft.de