10.5.-13.05.2020: Das zaghafte Erwachen!

„Die neue Oper „Der Konsul“ ist hochpolitisch und bühnenwirksam, „Publikumsansturm auf die Zarenschätze“,  „Zeitlose Skulpturen und dynamische Malerei“: Richard Mayr ist Kulturredakteur der Augsburger Allgemeinen und die Titel seiner Artikel lauten in der Regel wie oben genannte.

Er berichtet schwerpunktmäßig für das Augsburger Feuilleton und mit einer großen Leidenschaft für das Theater, sagt er selbst. Mit Verkündung der Ausgangsbeschränkungen und den Auflagen zur sozialen Distanzierung vor acht Wochen verschwand der Großteil seiner zu berichtenden Inhalte in der Versenkung. „Es war keine vereinzelte Absage, wie sie im Kulturalltag vorkommt. Wir haben eine Woche ausschließlich damit verbracht, zu berichten, was nicht stattfindet. Das war neu. Man spürte förmlich, dass eine Zäsur da ist“, so beschreibt es der Journalist heute.

Richard Mayr, Kulturredakteur Augsburger Allgemeine

Die Schlagzeilen, die Richard in den letzten Wochen verfasst hat, lauten nun: „Wie lässt sich die kulturelle Not in Augsburg lindern?“. „Hilferuf der Künstler zeigt eine erste Wirkung“. Musik-Agent: „Bis 31. August verdienen wir keinen Cent“. „Sommer der Absagen: Wie die Krise Festivals, Konzerte und Theater trifft.“

Es ist tatsächlich etwas passiert, das keiner meiner Kollegen je in diesem Ausmaß kennengelernt hat.

Die Gespräche und Interviews, die wir mit Künstlern und Kulturschaffenden führen klingen nun anders. Das liegt an veränderten Inhalten und Lebensbedingungen.

PHOTO-2020-05-14-07-03-24

Journalist Richard Mayr

 

Ein langsames Erwachen findet seit Montag nun auch in Bayern statt – alle Geschäfte öffnen und bis auf Ballettstudios oder Schwimmbäder ist damit ein soziales Leben auf die Entfernung möglich.

Der Kulturbereich erwacht nur zaghaft. Als Kulturredakteur fehlt mir das persönlich sehr – einerseits als kulturinteressierter Mensch – und andererseits beruflich – als Gegenstand der Berichterstattung.

 

Haut an Haut in voller Nähe demonstrieren Menschen auf dem Marienplatz in München. Vielen gehen die Lockerungen nicht schnell genug. Schweden gesteht sich hingegen ein, alte Menschen und die Schwäche im unterfinanzierten und -besetzten Sozialsystem nicht bewusst im Fokus gehabt zu haben. Die Zahl der alten Toten überschreitet die von Finnland, Norwegen und Dänemark bei weitem.

Akzeptanz, Verschwörung oder Stress: Was macht der Mensch aus der Veränderung?

Auch in Augsburg wird demonstriert. 500 Personen waren es letzten Samstag auf dem Rathausplatz. In der Gesellschaft arbeitet es in die unterschiedlichsten Richtungen. Mit Veränderungen geht jede Psyche anders um. Angst- und Katastrophenlust treibt die einen, Verschwörungstheorien die anderen. Einsamkeit gar manche, Stress und Existenzangst viele. Ein Psychotherapeut weist in Psychologie heute darauf hin, dass die Krise Akzeptanz und Annahme erfordert. Ein weiterer Artikel erklärt, dass Stress das Denken behindert und Verschwörungstheorien besonders häufig und vor allem schädlich sind. Gerade ängstliche Menschen fänden in diesen Zeiten des Kontrollverlusts in kruden Theorien Halt. Die Folgerungen für uns sind klar, nehme ich an: Akzeptieren, Annehmen und Denken reduzieren, da viele Stressoren minütlich unterwegs. Und die Sache mit den Verschwörern? Die winken wir jetzt mal durch.

IMG_3428_01-1

Virtual Real und Digital Nativ als Kulturvariante

Da wir aber schon im zaghaften Erwachensmodus sind, arbeiten wir weiter an kreativen Lösungen und gestalten innerhalb unseres Rahmens. Das Staatstheater Augsburg macht es vor mit Ballettaufnahmen, die zu Hause per gelieferter VR-Brille, gestreamt werden können. In wenigen Wochen die aktuelle Orpheus-und-Eurydike-Aufführung in virtuelle Theater-Erlebnisse für Zuhause umzufunktionieren, verdient schon einen Kniefall in Sachen Spontanität und Flexibliltät. Weitere digitale Angebote holen sich die Besucher zu Hause auf die Theaterstühle. Eine Samstag-Abend Show a la Wetten Dass … im LiveStream mit dem Intendanten als Moderator, Vorstellungsrunden des Orchesterpersonals oder der Club & Kulturstream, die alle erfolgreich das Kulturprogramm ins Netz und auf das heimische Sofa holen. Richard Mayr kann sich die Schuhe homestayed also wohlbedacht schon wienern.

Und bitte: Tut es nicht Orpheus gleich – die ersten Schritte durch einen Rückblick zunichte zu machen, wäre zu schade. Vorwärts nun! Zaghaft!