Tirana geht steil

Tirana, bunte Fassaden Tirana, Albanien, bunte Fassaden

Edi Rama, der ehemalige Bürgermeister von Tirana in Albanien, hat die Fassaden bunt streichen lassen. Er ist Künstler und seine Idee folgt den Gesetzen einer simplen Psychologie. Farbenfrohe Häuserwände signalisieren Hoffnung und Aufbruch. Bis 2011 versuchte er so, den Wildwuchs in Tirana, der 1990 mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Regimes begonnen hatte, einzudämmen. Die Öffentlichkeit war es, die sich Straßenzüge und Parks erobert hatte und planlos und oft illegal konstruierte und errichtete. Kioske, Verkaufsbuden, Hotels und Häuser bis zu acht Stockwerken wuchsen in der Stadt an. Die Straßenzüge seien wie Korridore in einem Kafka-Roman gewesen, eng und immer voller, meinte Rama in einem Interview in der Züricher Zeitung 2003.

Internationale Feier für den artistischen Bürgermeister

Rama wurde gefeiert. Vor allem von Seiten des Feuilletons, der Architekten und Magazine für Design und Kunst. Fotografen liefen die Straßen ab, portraitierten dutzende renovierungsbedürftige Häuser, die in rot, grün oder blau aufgehübscht worden waren.

In den Häusern und dahinter bröckelte es weiter. Die Stadt litt unter chronischem Geldmangel, überlasteter Infrastruktur und einer wackligen Strom- und Wasserversorgung.

Es gibt ein Video aus dieser Zeit. Edi Rama hat es gemeinsam mit seinem Freund und Videokünstler Anri Sala gedreht. „Dammi i colori“ dokumentiert das erste Bemalen der Fassaden. Der Film erregte das Interesse der Kunstwelt und das Augenmerk richtete sich auf diese Stadt, die auch jetzt in den EU-Beitragsdiskussionen wieder im Fokus steht. Im Juni 2019 beginnen die ersten Gespräche zu Beitrittsverhandlungen. „Große Fortschritte in Sachen  Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Justiz“, bescheinigt die EU dem kleinen Land. „In Sachen organisierte Kriminalität und Korruption sind jedoch noch Reformschritte nach zu weisen“, belegt sie auch.

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Verändert Kunst politische Prozesse oder eine Gesellschaft?

Das klingt nach Veränderung. Nach Bewegung. Rama alleine, seiner Idee, Ideologie, seinen Taten als Bürgermeister, kann das nicht angelastet werden. Ob die bunten Fassaden ein Impuls waren, eine Wohlfühl-Makeup, das die Bevölkerung dahinter sich besser fühlt, mag sein. Zumindest reißen sich Journalisten und Feuilleton wieder um ihn, den jetzigen Ministerpräsidenten, denn er kann über Politik, über Kunst und Korruption sprechen. Was ihn als gern gesehenen Gesprächspartner im Zuge der ausstehenden Beitrittsverhandlungen macht.

Der neue Bürgermeister malt nicht, er gestaltet

Aber es geht weiter. Denn Erion Veliaj, der derzeitige Bürgermeister Tiranas, läuft ebenfalls Schau auf Architektursymposien. Er ist seit 2015 Bürgermeister und war Anfang des Jahres in München, um beim Symposium „Architecture Matters“ unter dem Stichwort „Der große Plan“ über Architektur im öffentlichen Raum zu debattieren. Er war dieses Jahr bei der Urban Future Conference in Oslo geladen und er geht in seinen Bemühungen einen ganzen Schritt weiter als Rama. Er kratzt nicht, er gestaltet. Er will die Stadt in die Hände der Bürger zurück legen. Er arbeitet deshalb überwiegend an öffentlichen Räumen, ähnlich wie es Shapiro und Likin mit ihrem Büro Wowhaus in Moskau tun.

Er gestaltet öffentliche Räume um, pflanzt 2 Millionen Bäume in einem Gürtel mitten in der Stadt. Für den Skanderberg Platz in Tirana hat er bereits dieses Jahr – nach Spanien und Polen – den European Prize for Urban Public Space gewonnen. Das CCCB, das Centre de Cultura Contemporanea, in Barcelona zeichnet alle zwei Jahre Projekte, die öffentlichen Raum aufleben und beleben, aus.

Pflanzlicher statt architektonischer Wildwuchs am Skanderberg-Platz

100 000 Quadratmeter umfasst der Platz. Edi Rama hatte ihn in seiner Amtszeit nur für Fußgänger geöffnet und den Verkehr verbannt. Sein Nachfolger revidierte dies wieder, ließ sogar Grünzonen wieder abbauen. Veliaj ließ das Projekt neu aufleben.

Heute ist der Platz eine reine Fußgängerzone, die aus Pflastersteinen in verschiedenen Tönen besteht. Zwölf Gärten mit beweglichem Stadtmobiliar sind dort angesiedelt und Wasserfontänen. Die Fahrzeuge wurden in einer Tiefgarage versteckt und alle denkmalgeschützten Gebäude herausgestellt.

Das Architekturbüro 51N4E hatte für den internationalen Ausschreibungs-Wettbewerb gemeinsam mit dem Künstler Anri Sala einen Vorschlag eingereicht und gewonnen. 2010 kam das Projekt mit dem Ende Ramas Amtszeit zum Erliegen, wurde 2015 dann von Veliaj wieder aufgenommen.

Das lokale Ökosystem findet sich in zahllosen Pflanzen wieder, die sich in einem Park um den Platz versammeln. Neben umwelttechnischen Aspekten, wie dem Verbessern des Mikroklimas der Stadt erfüllt der Park natürlich auch soziale Funktionen. Als Aufenthaltsort für die Stadtbewohner überwuchert er auch die Erinnerung an den Repräsentationsraum der sozialistischen Diktatur.

Wenn sich am Befinden der öffentlichen Plätze erkennen lässt, wie gesund eine Demokratie ist, dann tut sich wohl etwas in Albanien.

Und dann könnte man sogar reüssieren, dass Rama und Veliaj etwas gelungen ist, was externe Experten und Stadtplaner oft vergeblich versuchen – eine Stadt über Leitmotive und architektonische Veränderung zu stärken und beflügeln. Idealistisch gesehen;-).

Ach ja, seit 18.11. stellt die Kunsthalle Rostock die Zeichnungen, Tonskulpturen Ramas, die er bei Meetings und Konferenzen anfertigte, aus. Sie sind noch bis 6.1.2019 zu sehen. Könnte einen Kurztripp zwischen Weihnachten und Silvester wert sein.