Selbstgebackene Kürbiskekse, liebevoll arrangiert mit Lavendel, heißem Kakao und einem Strickset. Man kommt ihr nicht aus – der Kastanien-Geborgenheit, der inszenierten familiären Glückseligkeit und den regionalen Handcraft-Keksen. Posts auf Instagram, Facebook oder Gespräche mit der Generation der aktuell 30 bis 35-Jährigen sind randvoll damit.
Kastanien-Geborgenheit in digitalisierter Einsamkeit
Was ist da los? Muttersein und ein Zuhause sind hipp, ökologisch und nachhaltig. Die digitale Generation benötigt Geborgenheit und Comfort im Übermaß. Ist das eine weitreichende gesellschaftliche Entwicklung? Und welchen Status behält die Arbeit in derartiger Lebensplanung?
Kommunikation aus dem Rückzug
Der Zukunftstrend 2017 hat herausgefunden, dass der „Hygge“-Trend eine abgemilderte Form des Cocoonings aus den 90ern ist. Je hektischer der Alltag, desto größer das Bedürfnis nach Formen des Rückzugs. Die Halbjungen plagt eine Sehnsucht nach Comfort und Gehaltenwerden. Laut Zukunftstrend geht es dabei aber nicht um Individualisierung wie in den 90ern, sondern um Kommunikation und Kooperation.
Eine etwaige Erklärung für das Mitteilen der eigenen Bedürfnisse als gesellschaftsrelevanter Inhalt.
Die Megatrends: Neo-Ökologie und New Work
Womöglich schwimmt die Generation auch nur im Strom der Megatrends. Wie das Zukunftsinstitut in seinen Glossars erkennt, sind im Bereich Neo-Ökologie, einer der Megatrends, die Themen Bio, die Energiewende oder aber die Plastikverordnung der EU eine der treibenden Kräfte unserer Zeit. Das Zukunftsinstitut wurde 1998 gegründet und gilt als der Think Tank, was die Trends- und Zukunftsforschung unserer Zeit anbelangt. Möglicherweise handeln die Kürbiskuchen also von mehr. Sie sind ein Sinnbild eines veränderten ökologischen Bewusstseins, eines alternativen Umgangs mit Ernährung und den regionalen Ressourcen.
Wenn man es positiv betrachten möchte.
Möglicherweise sind die hinter den Posts stehenden Halbjungen aber auch gefangen im Kampf um das Thema New Works.
Der andere Megatrend beschreibt die sich verändernde Arbeitswelt. Da menschliche Arbeit aufgrund Roboterunterstützung weniger benötigt wird, stellen sich die Menschen, laut Zukunftsinstitut, die Sinnfrage. Keiner arbeitet mehr um zu leben oder lebt, um zu arbeiten. Und die 35-Jährigen hängen mittendrin. In diesem Shift der Bedeutung von Arbeit.
In 10 Jahren hat die Arbeit an Wert verloren und die Angst vor der Welt ist gestiegen
Der Bedeutungsverlust der Arbeit – der Shift vom Zentrum des Lebens in eine Hälfte desselben ist innerhalb von 10 Jahren passiert.
Frauen versuchten in den 2000ern nach Geburt eines Kindes nahezu verzweifelt „keine“ Muttis zu werden. Sie blieben thementechnisch variabel. Politik, Gesellschaft und Karriere standen immer voran. Keinem Chef, keinem Kollegen, nicht einmal kinderlosen Freundinnen konnten private Kuchenrezepte kommuniziert werden, ohne von diesen als Staubzelle geächtet zu werden. Männer und Frauen wollten interessierte, weltoffene Menschen werden, sie wollten gestalten, die Gesellschaft beleben und Dinge voran bringen. Arbeit war ein Mittel dafür. Ein gewichtiges und einflussreiches.
Das Private blieb in diesen Fällen und Zeiten privat. Draußen in der Welt gab es die Herausforderungen und Abenteuer.
Das hat sich nun geändert. Rapide und uneinholbar schnell. Die Abenteuer finden nun Zuhause statt, die Welt ist unökologisch, unübersichtlich und schwer beeinflussbar.
Retardierung vor dem großen nächsten Schritt
Familie und ein Heim sind nun Werte, die es gilt zu leben und zeigen. Sie signalisieren der Welt Stärke und Kraft: Wir schaffen das, weil wir nicht allein sind! Das ist nicht verwerflich. Jedes Kind retardiert vor einem neuen Entwicklungsschritt noch einmal in die sichere, jüngere Variation seiner selbst.
Zurück zur Anfangstheorie und den Keksen. Was bei allen Institutserklärungen, gesellschaftlichen Entwicklungen und Vermutungen den heute 35-Jährigen fehlt, ist die Empathie für andere und der Blick über den Tellerrand. Diese Generation mutet der Gesellschaft und jedem Arbeitgeber das Maximum an Individualisierung, Trendsetting und Eigenwillen zu. Sie fordert hauseigene, flexible Kitas, superflexible Arbeitszeiten und Home-Office. Die Generation wünscht eine Führungstätigkeit nach dem Bachelor, mutet andererseits jeden eingewachsenen Zehennagel dem Arbeitgeber als gewichtiges Thema zu.
Die Welt passend machen, statt sich selbst zu bewegen
Die Mitteljungen versuchen die Welt für sich passend zu machen, die Rahmenbedingungen an ihre Bedürfnisse anzupassen. Sie gehen zurück, sowohl in der gesellschaftlichen Entwicklung als auch persönlich. Sie retardieren. Ins Private.
Es ist ein Stillstand. Bleibt die Hoffnung, die Ruhe ist dazu da Kraft zu tanken – für die Zukunft, und das was kommt.
Urban Matcha, Digital Native und Golden Mentor – die drei Typen beeinflussen unsere Zukunft
Das Institut hat insgesamt 12 Megatrends ausfindig gemacht. Sie alle beeinflussen das Leben auf allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ebenen. Doch bis 2020 werden es vor allem drei charakteristische Typen sein, der Urban Matcha, Digital Native und Golden Mentor, der die Gesellschaft und Industrie nachhaltig beeinflussen wird.
Der Urban Matcha setzt Trends. Er ist urbanisiert und individualistisch. Er ist in den Metropolen nicht zu übersehen und definiert sich über sein Konsumverhalten und den Kleidungsstil. Er ist ein Teil der kreativen Klasse und wird mit seinem Impact das Konsumverhalten und die Werte nachhaltig beeinflussen, so siehst es das Zukunftsinstitut.
Von der retardierten Selbstbezogenheit raus in die Welt!
Die Generation hat eine Chance. Eine große. Wenn Sie sich von der Selbstbezogenheit und Trendsetting-Euphorie nach außen auf die Welt richtet.
Wenn Sie mit ihren Lebensentwürfen nicht allzu sehr die Nerven der Gesellschaft strapazieren. Auch Oma wusste, Mama und Lisas Müller weiß, wie ein Kuchen geht, hat schon einmal ein Kind bekommen und besitzt Kastanien, die auf dem Tisch liegen.
Diese Generation sollte kreativ und sie selbst sein, und sie sollten nicht die erkämpften Freiheiten vorangegangener Generationen einschlafen lassen! Sie sollte die großen Themen der Welt anvisieren. Ihre Protagonisten sollten nicht nur bewusst und vegan sein, sondern mutig. Sie sollten sich trauen das Leben anzugehen, mit allen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten.
Die Balance zwischen Leben und Arbeiten sei eine der großen Herausforderungen der Zukunft, sagt das Zukunftsinstitut. Sinnhaftigkeit sei der Beginn, der das Arbeitsleben von Grund auf verändern wird.
Wenn der 35-Jährige Kastanienmännchen-Bauer nach diesem Sinn noch sucht und dies der Beginn der Veränderung ist, dann kann er sich gerne noch mit selbstgepresstem Apfelpunsch die Welt schön trinken. Als ein Zeichen für das Verschieben der Grenzen zwischen Arbeit und Leben. Er sollte nur den richtigen Zeitpunkt für den Start in die aktive Veränderung nicht verpassen. Der Darsteller dieser Generation.